Grenzen
Grenzen oder boundaries dienen als Mechanismen für unseren Selbstschutz. Wir brauchen Grenzen, um auf eine gesunde Weise miteinander interagieren zu können. Das Wichtigste vorab: Wir setzen Grenzen nicht für die anderen. Wir setzen sie für uns selbst. Die Grenzen sind für uns, und die anderen können sich dann daran orientieren. Es ist deine Grenze, nicht ihre. Du gibst vor, wie weit jemand gehen darf, nicht umgekehrt. Du bist für deine Grenzen verantwortlich, nicht die anderen.
Wenn ich mir selbst über meine Grenzen nicht im Klaren bin, dann werden sie ständig überschritten. Hier ahne ich unterschwellig, dass etwas nicht stimmt, bin mir aber nicht sicher, warum. Selbst wenn ich Grenzen gesetzt habe, diese auch verbalisiere, sie aber in einer toxischen Beziehung dennoch überschritten werden – überschreitet die andere Person sie nur, weil ich es zulasse, ergo überschreite ich sie selbst mit. Hier weiß ich, dass etwas nicht stimmt und lasse es trotzdem zu.
Gerade in einer Beziehung mit dem Narzissten gibt es keine Grenzen. Der Narzisst sieht andere nicht als separate, individuelle Lebewesen, insbesondere im familiären Kontext. Wenn er zudem gewaltsam Macht und Kontrolle über dich ausübt, sind Grenzen Gift für den Narzissten. Nach solchen Beziehungen – oder wenn man aus einer dysfunktionalen Familie mit narzisstischen Eltern oder Geschwistern kommt – müssen die Grenzen nicht nur wiederhergestellt, sondern manchmal sogar neu erschaffen werden.
In solchen Beziehungen unterlag man einer Gehirnwäsche, bei der dir indoktriniert wurde, dass deine Grenzen:
- Unwichtig sind
- Wertlos sind
- Lächerlich sind
- Jederzeit überschritten werden dürfen
Sobald du dich gewagt hast, dich zur Wehr zu setzen, wurdest du dafür auch noch auf das Schärfste verurteilt und bestraft.
Es ist absolut nachvollziehbar, dass das Thema Grenzen nach solchen Tyranneien ein Fremdwort ist. Daher müssen sie langsam, behutsam und sorgfältig wieder aufgebaut werden. Es ist nicht einfach, aber es ist möglich und machbar – Aufbau, Konsistenz und Zeit sind der Schlüssel. Irgendwann geht auch der Klassiker „Nein“ wie ein vollständiger Satz ganz ohne Reue, Gewissensbisse oder Schuld und Scham, Erklärungen und Rechtfertigungen über die Lippen.
Das Setzen der Grenzen wirkt wie eine Triebfeder, die ganz automatisch Prozesse in Gang setzt, die massive Veränderungen im Leben auslösen. Plötzlich sortieren sich alle Menschen ganz natürlich aus: jene, die Grenzen überschritten haben, verschwinden, und jene, die potenziell Grenzen überschreiten könnten, kommen erst gar nicht in dein Leben. Die Qualität der Beziehungen – und insgesamt die des Lebens – steigt substanziell an. Grenzen werden zum Barometer für Beziehungen: Sobald du auch nur einen Hauch negativer Veränderung in der Atmosphäre spürst, nachdem du eine Grenze gesetzt hast, weißt du sofort, womit du es zu tun hast – und kannst entsprechend handeln.