Narzissmus

Narzissmus

Der Begriff „Narzisst“ stammt von einer Sage über einen griechischen Jäger, der sich in die Reflexion seines Spiegelbildes im Teich verliebte. Die schöne Blume Narzisse ist ebenso auf diese Wortherkunft zurückzuführen. Gerade in der heutigen Zeit wird dieser Begriff inflationär benutzt und fast schon als Überbegriff für jede negative Eigenschaft des Homo sapiens verwendet. Das ist jedoch nicht korrekt.

Nicht jede negative Eigenschaft hat ihren Ursprung im Narzissmus. Und nicht jedes Mal, wenn jemand ein negatives Persönlichkeitsmerkmal zeigt, darf er sofort als Narzisst bezeichnet werden. Hier wäre es sinnvoll, klar zwischen Menschen mit narzisstischen Zügen und der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden.

Persönlichkeitsstörungen werden in drei Gruppen unterteilt (A, B & C). In der Gruppe B sind insgesamt vier Störungen kategorisiert, darunter die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPD). Zur diagnostischen Abklärung werden in APA, 2013 die nachfolgenden neun Merkmale herangezogen, wovon mindestens fünf zutreffen müssen, um mit NPD diagnostiziert zu werden. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch ein tiefgreifendes Muster von Größenfantasien (in Gedanken oder Verhalten), einem Bedürfnis nach Bewunderung und einem Mangel an Empathie. Personen mit NPD können folgende Merkmale aufweisen:

Narcissistic personality disorder involves a pervasive pattern of grandiosity (in fantasy or behavior), need for admiration, and lack of empathy. Those with narcissistic personality disorder may:

  • Have a grandiose sense of self-importance
  • (Ein übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit, z. B. das Übertreiben von Leistungen und Talenten).
  • Be preoccupied with fantasies of unlimited success, power, brilliance, beauty, or ideal love
  • (Starke Beschäftigung mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe).
  • Believe that they are “special” and can only be understood by other special or high-status people
  • (Glaube, einzigartig zu sein und nur von besonderen oder hochrangigen Personen verstanden zu werden).
  • Require excessive admiration
  • (Verlangen nach übermäßiger Bewunderung).
  • Have a sense of entitlement
  • (Gefühl besonderer Anspruchsberechtigung – überzogene Erwartung von bevorzugter Behandlung).
  • Take advantage of others to achieve his or her own ends
  • (Ausbeutung anderer, um eigene Ziele zu erreichen).
  • Lack empathy
  • (Mangel an Empathie: Unfähigkeit oder Unwille, Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder nachzuempfinden).
  • Is often envious of others or believes that others are envious of them
  • (Oft Neid auf andere oder die Überzeugung, dass andere neidisch auf sie sind).
  • Show arrogant, haughty behaviors or attitudes
  • (Zeigt arrogantes, hochmütiges Verhalten oder Einstellungen).

Diese Liste betrachtend, können wir mit Sicherheit sagen, dass jeder von uns die eine oder andere Eigenschaft in sich selbst finden könnte – und im Umfeld mindestens eine Person kennt, bei der wir sogar alle neun abhaken würden. Eine diagnostische Abklärung ist allerdings nur durch qualifiziertes Fachpersonal wie Psychiater oder Psychotherapeuten möglich. Von laienhafter Selbstdiagnose ist dringend abzuraten.

Was wir jedoch feststellen können, ist, dass es diese Menschen gibt. Auch ohne klinische Diagnose existieren Personen, die eine Vielzahl dieser Züge aufweisen und als Resultat anderen Menschen buchstäblich das Leben schwer machen. Menschen, bei denen es vorwiegend um Macht und Kontrolle geht. Menschen mit einem rigiden, unrealistisch idealisierten Selbstbild. Deren Selbstwertgefühl nur von Bewunderung und Anerkennung abhängt. Die skrupellos und ohne jegliches empathisches Nachempfinden Unvorstellbares tun können. Die andere für ihre Zwecke ausbeuten, ständig neidisch sind, absolut kritikunfähig und niemals Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen. Extrem ansprüchlich sind und denken, dass sie etwas Besseres verdient haben. Deren Selbstwert durch das Leiden anderer genährt wird.

Diese Personen gibt es. Sie weisen die sogenannten narzisstischen Merkmale auf – nur sind sie nie zum Psychologen gegangen und haben sich keinem Screening unterzogen. Da Narzissten zur Introspektion und Selbstreflexion nicht in der Lage sind – weil die Illusion des perfekten Selbst dadurch zerstört werden würde –, ist ein Besuch beim Psychologen nur in seltensten Fällen denkbar. Annehmbar wäre er nur dann, wenn der Narzisst für sich selbst einen Vorteil darin sieht.

Doch wollen wir wirklich auf die sehr unwahrscheinliche Situation warten, dass der Narzisst sich in Therapie begibt? Oder darauf, dass wir durch eine Diagnose endlich das erlösende Siegel haben? Was dann?

Wir brauchen keine klinische Diagnose, um zu verstehen, dass wir scheiße behandelt werden. Wenn jemand durch Kontroll- und Machtausübung konstant deine Grenzen überschreitet, dich schikaniert, verachtet und ständig schlecht fühlen lässt – ist es wirklich wichtig, ob es NPD, Borderline oder eine schizoide Episode ist? Ist es wichtig, wer diese Person ist – Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Kollege, Ehemann, Ehefrau, Tante, Onkel, Großcousin?

Wenn dich jemand systematisch erniedrigt, entwürdigt, beleidigt, sich sadistisch an deinem Schmerz erfreut, perfide Spielchen treibt, deine Realität und Gefühle verdreht, dich ausnutzt, Worte verdreht, dich isoliert, beschämt, nie an etwas schuld ist, aber dir Schuldgefühle indoktriniert, autoritär oder dogmatisch ist, kontrollierend und unempathisch – dann ist es toxisch und missbräuchlich.

Letzten Endes ist es irrelevant, ob diese Person klinisch diagnostizierter Narzisst ist oder nicht. Das Allerwichtigste ist: diesen Missbrauch gilt es zu beenden.

Quelle:
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM‑5). 5. Auflage. (2013). American Psychiatric Association. Washington, DC.

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